Servus und herzlich willkommen zum letzten Treffen des Club
LiterAUTurs … für dieses Jahr.
Auch wenn, das Jahr 2025 schon bald vorbei ist, möchten wir die Bedeutung dieses Jahres für Österreich noch einmal hervorheben. 2025 ist das Jahr der Jubiläen. 30 Jahre EU-Beitritt, 70 Jahre Neutralität und 80 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. Ascari, Gabi, Nicole und ich wollen nun, haben uns deshalb gefragt, wie wir diesen Meilensteinen gerecht werden könnten.
Normalerweise wird’s im Club Stüberl immer etwas lauter, es wird viel gelacht und über vieles ausgetauscht. Doch heute schwebt eine schwere Melancholie über unseren Köpfen und jeder von uns vier hängt seinen eigenen Gedanken zum dunkelsten Kapitel Österreichs nach.
Die Erste, die ihr Schweigen bricht, ist Nicole.

Wenn ich an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte denke, spüre ich noch heute Fassungslosigkeit. Es ist eine tiefe, stille Betroffenheit, die ich dabei fühle. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der das Erinnern und Aufarbeiten des Nationalsozialismus festen Platz im Unterricht hatte. Wir besuchten Gedenkstätten, sahen Dokumentationen, lasen Zeugnisse von Überlebenden. Und es bleiben viele Fragen und Bilder, wie z.B. von Orten wie dem Konzentrationslager Mauthausen, von Erzählungen meiner Großeltern, von Blicken, in denen Schmerz und Schweigen nebeneinander existierten. Ich gehöre wohl zur letzten Generation, die noch persönlich davon gehört hat, und die Aufgabe hat, weiterzuerzählen, damit die Erinnerung nicht verblasst.

Wenn ich an die dunklen Zeiten Österreichs denke, dann denke ich an den Geschichtsunterricht in der Schule zurück. Auch wir haben das Thema intensiv betrachtet und uns diverse Dokumentationen angesehen und jedes Mal war ich von den Geschichten und Schicksalsschlägen berührt. Damals wie heute bewunderte ich die Stärke und den eisernen Willen der Überlebenden. Besonders betroffen macht mich der damalige Umgang mit Menschen mit Behinderung. Eine Randgruppe unserer Gesellschaft, die damals wie Dreck behandelt wurde, als wären diese Menschen wertlos. Zum Glück haben sich die Zeiten geändert, auch wenn noch ein langer und steiniger Weg zur vollständigen Inklusion vor uns liegt.
Deshalb habe ich heute eine Buchempfehlung mitgebracht, die einem zum Nachdenken anregen soll. An dieser Stelle danke an Gabi, die mir das Buch als kleinen Hinweis gegeben hat, da ich mir mit der Buchauswahl diesmal verdammt schwer getan hab und das Lesen auch ziemlich lang vor mir hergeschoben hab.
„Ein Hund kam in die Küche“ handelt von Ludi, seinen Eltern und seinem Bruder Hanno, die aus Südtirol ins Deutsche Reich auswandern. Das Buch thematisiert die Traumata, Schicksalsschläge, mit denen sie leben, und Menschen, die die Familie auf ihrer Reise zurücklassen mussten. Je länger der Krieg dauert, desto mehr möchte Ludi das Erlebte verstehen, doch als Kind kann man was man sieht und was politisch, machtmäßig dahintersteht, nicht begreifen. So sehr er es auch versucht.
Mit „Ein Hund kam in die Küche“ von Sepp Mall habe ich dank euch einen Glücksgriff gelandet, denn der Autor beschreibt die Gräueltaten und Zustände in der damaligen NS-Zeit durch die Perspektive eines Kindes. Dadurch werden die Geschehnisse zwar erzählt und sehr bildhaft und emotional dargestellt, aber die Grausamkeit, die wir als Erwachsene mit dieser Zeit verbinden, findet sich nicht in der Geschichte oder im Schreibstil wieder. Beispielsweise denkt Ludi, dass sein beeinträchtigter Bruder, Hanno, in eine „Pflegeanstalt“ bei Innsbruck kommt, in der er endlich normal sprechen und gehen lernt und danach zu seiner Familie zurückkommt. Als Erwachsene haben wir miterlebt, gelesen oder in der Schule gelernt, was mit Menschen mit Behinderung tatsächlich passiert ist.
Für mich ist der Roman ein gutes Buch, welches zwar mit 192 Seiten zwar sehr dünn ist, aber inhaltlich sehr gewaltig und ehrlich über diese Zeit spricht.
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Weiter geht’s mit Gabi, deren Buch die schwierige Situation der Juden zu dieser Zeit behandelt. Gabi, du hast das Wort.
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Immerhin schon 87 Jahre ist es her, dass Österreich an das nationalsozialistische Deutsche Reich angeschossen wurde und die Mehrheit der Österreicher das bejubelte. Doch je mehr rechte und rechtsradikale Gruppierungen heute in der europäischen Politik an Einfluss gewinnen, desto wichtiger ist es, zu mahnen und allen ins Gedächtnis zu rufen, was damals passierte. Damit wir diese schreckliche Zeit nicht vergessen, sondern daraus lernen und es nicht nochmal so weit kommen lassen.
Der britische Thrillerautor John Matthews hat unter dem Pseudonym J. C. Maetis mit seinem Buch „The Vienna Writers“ an die jüdischen Mitglieder seiner Familie erinnert, die das dritte Reich nicht überlebten.
Maetis erzählt die Geschichte zweier Wiener Schriftsteller, Cousins aus einer jüdischen Familie, auf eine so packende Weise, dass man hautnah dabei ist und keine Distanz hat zu dem, was ihnen widerfährt. „The Vienna Writers“ ist ungeheuer spannend, denn obwohl man weiß, wie das dritte Reich historisch endet, gibt es für Mathias und Johannes oft genug mehrere Möglichkeiten, sich zu entscheiden und man ahnt genauso wenig wie die beiden, welcher Weg der richtige für sie ist. Sie begegnen Angst, Gleichgültigkeit, Hass, aber auch Hilfsbereitschaft und ihre Geschichte rüttelt einen als LeserIn ordentlich durch. „The Vienna Writers“ ist ein Buch, das noch lange nachhallt. Ich kann es nur allen sehr ans Herz legen.
Ich lese eigentlich nicht oft historische Biografien – und schon gar nicht, wenn sie mehr als 400 Seiten haben. Aber „Hitlers Wien“ kann man heute durchaus schon als einen Klassiker bezeichnen, auch wenn die mittlerweile verstorbene Autorin auch über andere historische Persönlichkeiten Bücher verfasst hat. Vor einiger Zeit ist eine überarbeitete Neuauflage von diesem Buch im Molden Verlag erschienen, die die Quellen neu bewertet und daher auch einige Details aus dem Original richtigstellt.
Eins muss einem bei der Lektüre dieses Buchs auf jeden Fall klar sein: Hamanns Buch ist kein weiterer Versuch, Hitler zu „erklären“, sondern eine Spurensuche in einer Stadt, die ihn in jungen Jahren geprägt hat und in der vieles schon gegärt hat, was später in die Umbrüche des Ersten Weltkriegs münden sollte. Denn: Das Wien der Jahrhundertwende ist eine Stadt der massiven Gegensätze, schillernd und düster zugleich. Auf der einen Seite Jugendstil, Kaffeehäuser und Künstlerträume, auf der anderen politische Spannungen, Armut und Antisemitismus, eingebettet in den bröckelnden Vielvölkerstaat der Donaumonarchie.
In diesem Umfeld lebt der junge Hitler als gescheiterter Kunststudent, der sich durchs Leben schlägt und nach Schuldigen sucht. Hamann beschreibt diese Jahre mit beeindruckender Genauigkeit: Sie wertet Fotos, Archive, Meldezettel und Zeitungsberichte aus und entlarvt viele Mythen, die Hitler später über sich selbst verbreitet hat. Besonders beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang die umfangreiche Arbeit mit den Quellen, denn vieles muss heute mit sehr kritischen Augen gelesen werden, da auch die „Zeitzeugenberichte“ aus den unterschiedlichsten Motiven heraus entstanden sind.
Manche Passagen sind dicht und detailreich (für meinen Geschmack manchmal fast ein bisschen zu sehr :D), aber das Buch liest sich nie trocken und langweilig. Stattdessen hatte ich das Gefühl, wirklich dabei zu sein: in den Straßen Wiens, zwischen Bettlern, Antisemiten, Arbeitern und Intellektuellen.
Am interessantesten fand ich allerdings die Tatsache, dass nach wie vor ungeklärt ist, wann sich Hitler wirklich zu einem Antisemiten entwickelt hat, denn selbst in seiner Wiener Zeit pflegte er durchaus noch Beziehungen zu verschiedenen Wiener Juden – und das war mir bis zum Lesen des Buchs nicht bewusst. Obwohl Hitler praktisch mit dem Antisemitismus von frühesten Kindesbeinen an aufgewachsen ist, liegt dieses Geheimnis nach wie vor im historischen Dunkel, denn in München kam er bereits als ausgemachter Judenhasser an …
Daher mein Fazit: „Hitlers Wien“ ist kein Buch, das man so einfach nebenbei liest – aber eins, das nachhallt. Brigitte Hamann hat nicht nur ein Stück Aufklärung betrieben, sondern auch ein Werk geschaffen, das uns zeigt, wie Geschichte entsteht: langsam, schleichend, im Alltag.
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